VOM
FEHDEWESEN ZUR GERICHTSBARKEIT
Texte von Mag. Leonhard Prickler und Andreas Lehner |
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DIE
FEHDE |
Der
Krieg der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen den Irak
wurden von vielen Menschen abgelehnt.
Der Grund dafür war wohl kaum eine besondere Sympathie für Saddam
Hussein, sondern vielmehr die Tatsache,
dass es keine Legitimation durch die UNO gab.
Besonders dieser Krieg wurde von vielen als Rückschlag für das
internationale Recht wahrgenommen.
Krieg zu führen ist also heute nicht mehr das unumstrittene Recht
von Staaten.
Um zwischenstaatliche Konflikte zu lösen wurden internationale Einrichtungen
geschaffen,
vor denen die Parteien ihre Argumente darlegen können und die Vorschläge
zu deren Lösung entwickeln.
Blicken wir zurück, in die Zeit des Frühmittelalters, so finden
wir eine ähnliche Entwicklung.
Die Fehde, also der bewaffnete Kampf zweier Streitparteien, war im allgemeinen
Bewusstsein der „normale“ Weg, Rechtsstreitigkeiten auszutragen.
Es war ein langsamer Prozess, diese Praxis gesellschaftlich zu ächten
und durch Gerichte und Verfahren zu ersetzen.
In dieser Ausstellung erfahren sie mehr über diese Entwicklung und
über die Verfahrensweisen der Gerichte im Mittelalter, aber auch
in der Neuzeit
Das theozentrische
Weltbild
Der mittelalterliche
Mensch lebte in dem Bewusstsein, dass alles Leben und alle Regeln der
Gemeinschaft auf göttlichen Willen zurückzuführen seien.
Fürsten und Könige beriefen sich auf das Gottesgnadentum, das
sie und ihre Familien auserwählt hatte. Ebenso war die soziale Ordnung,
die dem einzelnen Individuum seinen Platz in der Gesellschaft zuwies,
das Produkt göttlichen Willens, das der einzelne Mensch weder ändern
noch hinterfragen konnte. Genauso verhielt es sich mit den mittelalterlichen
Rechtsnormen.
Da das Recht auf den Willen Gottes zurückgeführt wurde, kam
es dem mittelalterlichen Menschen überhaupt nicht in den Sinn, dass
je ein sterbliches Wesen das göttliche Schaffen willkürlich
abändern und neue Rechtsnormen einführen könnte. Recht
galt als gesellschaftliches Allgemeingut. Aufgrund dieser Ansicht kam
das mittelalterliche Rechtssystem in der Regel ohne schriftliche Fassung
der Rechtsnormen aus; das Recht wurde „gewiesen“, also mündlich
tradiert. In der Regel waren es alte Männer mit langer Lebenserfahrung,
denen die Rolle als Rechtsmittler zukam, da sie aus ihrer Erinnerung gleichartige
oder zumindest ähnliche Rechtsfälle als Vergleichsbeispiele
abrufen konnten. Schriftliche Rechtsfassungen wie der im 13. Jahrhundert
von Eike von Repgow verfasste „Sachsenspiegel“, waren daher
reine Beispielsammlungen ohne Recht setzende Kraft.
Erst in der Renaissance- und Barockzeit setzte sich unter dem Einfluss
des an den Universitäten gelehrten römischen Rechts die Auffassung
durch, dass ein Grundherr bzw. Landesfürst zum Wohle seiner Untertanen
Rechtsnormen einführen und abändern konnte. Im Mittelalter resultierten
Neuerungen im Rechtssystem lediglich auf allmählichen Änderungen
des Volksempfindens, das der alleinige Träger des Rechtsbewusstseins
war. |
Was
ist die Fehde?
Die ursprünglichste
Form der Justiz ist die Selbstjustiz. Nach dem Untergang des römischen
Reichs wurden, so lange es keine effektive Gerichtsbarkeit gab, Rechtsstreitigkeiten
in der Regel von den Betroffenen selbst ausgemacht. Auch nach der Entstehung
der mittelalterlichen Gerichtsorganisation war die Fehde, abseits von
den Urteilssprüchen regulärer Gerichte, ein wenn schon nicht
gerne gesehenes, so doch allgemein toleriertes Mittel zur Gerechtigkeitsfindung.
Wer Gerechtigkeit suchte und sich diese von den Gerichten nicht erwarten
konnte oder wollte, konnte zur Selbstjustiz greifen und wurde, so lange
er dabei die Regeln der Fehde einhielt, nicht dafür belangt. Der
Grund für diesen Rückgriff auf die primitivste Form der Justiz
lag in der Schwierigkeit, dass Urteile mittelalterlicher Gerichte oft
nicht vollstreckt werden konnten. Da es keine staatliche Organisation
im heutigen Sinn gab, war es nicht immer möglich, Delinquenten dingfest
zu machen. Das Problem bei der Fehde: Rache provozierte gegenseitige Rachegelüste
…
Üble Auswüchse zeigte das Fehdewesen im Spätmittelalter,
als Fehden nicht selten zur Ausrottung ganzer Familien führten. Änderungen
in der Kriegführung des Spätmittelalters und das Aufkommen der
Söldnerheere ließen die Grenzen zwischen Krieg, Fehde und bloßen
Raubzügen immer mehr verschwimmen und führten, verbunden mit
dem Erstarken der Staatsmacht und Verwaltungsreformen, im 16. Jahrhundert
zum allmählichen Abflauen des Fehdewesens, da der finanzielle Aufwand
zur Bezahlung der Söldner selbst bei siegreichem Verlauf der Fehde
in keinem Verhältnis zum Ergebnis stand. Als letztes Relikt des Fehdewesens
blieb nur das Duell Mann gegen Mann, das sich hauptsächlich in Offizierskreisen,
aber nicht nur dort, noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten
hat. |
Entwicklung
der Fehde
Um eine kriegerische
Handlung als Fehde von einem bloßen Raubzug abzugrenzen, war die
Einhaltung bestimmter Rituale erforderlich. Zur Eröffnung einer „rechten
Fehde“ war ein allgemein als solcher anerkannter Grund vonnöten.
Seit dem Hochmittelalter war es Kirche, Königen und Fürsten
gelungen, das Fehde-Unwesen bei Bürgern und Bauern wenigstens auf
die Sühne von Mord, Totschlag, schweren Verletzungen und schwerer
Ehrverletzung (etwa Ehebruch) einzuschränken. Lediglich der Adel,
dessen Daseinsberechtigung ursprünglich das Kriegshandwerk gewesen
war, glaubte zunächst sein Recht auf Selbstjustiz auch bei nichtigeren
Fällen behaupten zu müssen.
Eine „ritterliche“ Fehde musste mindestens drei Tage vor Beginn
der Gewalttaten erklärt werden, um der gegnerischen Partei Gelegenheit
zu entsprechenden Vorkehrungen zu geben. Erklärt wurde die Fehde
üblicherweise durch die Überreichung eines Fehdebriefes; wo
die Beteiligten des Lesens und Schreibens nicht kundig waren, nahm diese
Rolle der sprichwörtlich gewordene Fehdehandschuh ein. Es galt der
Grundsatz, dass die zu sühnende Tat den Verlauf der Fehde bestimmte,
das heißt, Blutrache wurde nur für Mord und Totschlag, nicht
aber für Eigentumsdelikte genommen. Raub und Diebstahl wurden durch
Schädigung des gegnerischen Besitzes gesühnt, wobei aber Schäden
an Leib und Leben der gegnerischen Partei tunlichst vermieden wurden,
um keinen Anlass zu einer neuerlichen Fehde zu liefern. Wurde beispielsweise
ein Haus angezündet, wurde den Bewohnern Gelegenheit gegeben, das
Haus vorher zu verlassen.
Da ein Adeliger seines Gegners bzw. dessen Familie nicht immer habhaft
werden konnte, konnte auch an Untertanen des Gegners Rache genommen werden,
die ja für den Lebensunterhalt ihres Herrn aufkamen. Für die
schutzlose bäuerliche Bevölkerung waren die ständigen Adelsfehden
eine dauernde Bedrohung; die Grenzen zwischen Fehde und Raubrittertum
waren nicht immer klar zu ziehen. |
Die
Friedensbewegung
Das unselige Fehdewesen
war im Mittelalter eine ständige Bedrohung der öffentlichen
Sicherheit. Viele Menschen verloren durch diese Kleinkriege Leben oder
Gesundheit und Vermögen, nicht wenige Familien verarmten oder wurden
überhaupt völlig ausgerottet. Da eine effiziente Staatsgewalt
fehlte, war es zunächst hauptsächlich Sache der Kirche, die
Auswüchse des Fehdewesens einzudämmen und, wenn man schon die
Fehden nicht völlig verbieten konnte, so doch zeitlich und örtlich
einzuschränken.
Der Reglementierung des Fehdewesens dienten um die Jahrtausendwende so
genannte „Gottesfrieden“, die hauptsächlich in Frankreich
und Deutschland überliefert sind. Gottesfrieden waren zunächst
auf bestimmte Personengruppen oder immune Gebäude beschränkt;
wer dagegen verstieß, wurde mit Kirchenstrafen wie Sakraments- und
Grabverweigerung, Exkommunikation usw. belegt. Nach 1023 wurden die Gottesfrieden
um die „treuga Dei“ erweitert. Die „treuga“ war
ein zeitlich befristeter, räumlich und personell nicht beschränkter
allgemeiner Schutz innerhalb des Gebietes, für das der Gottesfriede
galt, zumeist die Zeit von Donnerstag oder Freitag bis Sonntag, hohe kirchliche
Festtage und bestimmte Zeiten des Kirchenjahres wie Fastenzeit, Osterzeit
oder Advent. Die Gottesfrieden waren ein Kompromiss zwischen dem von der
Kirche geforderten völligen Fehdeverbot und der oft nicht möglichen
Vollziehung der Urteile regulärer Gerichte.
Die Idee des Gottesfriedens wirkte sich allmählich auf die allgemein
gültigen Rechtsvorstellungen im Volk aus. So wurde um 1100 die Fehde
wegen Geldschuld allgemein geächtet. Seit dem 3. Laterankonzil 1179
erhob die Kirche nicht mehr die Forderung nach Errichtung von Gottesfrieden.
Nach wie vor aber war die Einhaltung der friedenssichernden Maßnahmen
und die Reglementierung des Fehdewesens stark vom guten Willen der Beteiligten
abhängig, da fehdelustige Adelige kaum von ihrem Vorhaben abgehalten
werden konnten. |
Das
Duell
Der Hang zur Selbstjustiz
scheint in der menschlichen Natur fest verankert zu sein, wie der wohl
bis in alle Zukunft nicht ausrottbare Brauch spontaner Wirtshausraufereien
belegt. Es ist eine Frage der Ehre, den Gegner zu besiegen, selbst wenn
man dabei schmerzhafte Hiebe einstecken muss und (im Gegensatz zum mittelalterlichen
Fehdewesen) nicht auf die Gnade der staatlichen Gewalt zählen darf.
Institutionalisiert wurde das Duell, das schon in germanischen Volksrechten
des Frühmittelalters als Beweismittel (Gottesurteil) überliefert
ist, durch die Ausbildung der höfischen Ritterkultur im Hoch- und
Spätmittelalter. Der Zweikampf zu Ross mit Schild und Lanze galt
dem Ritterstand als Frage der Ehre, die Teilnahme am Duell war dem standesbewussten
Adeligen selbstverständlich, und wer dem Duell auswich, galt nicht
als Ehrenmann. Duelle konnten auch um höhere Ziele ausgetragen werden;
so waren Zweikämpfe beispielsweise unter Freiern einer fürstlichen
oder adeligen Tochter zugelassen, wenngleich dies in der Praxis eher selten
vorgekommen sein dürfte.
Das Ehrenduell war seinem Wesen nach eine Privatfehde und verstieß
damit gegen die im 16. und 17. Jahrhundert erlassenen Rechtssätze,
die die Selbstjustiz als Verstoß gegen die göttliche Rechtsordnung,
aber auch gegen den landesfürstlichen Allmachtsanspruch brandmarkten.
Dennoch überlebte der Brauch des „ritterlichen“ Duells
bis weit in das 20. Jahrhundert. Vor allem in Offizierskreisen wurden
Streitigkeiten oft im Duell Mann gegen Mann entschieden; kam es dabei
zum Tod oder zu einer schweren Verletzung eines der Kontrahenten, nahm
die staatliche Justiz zumeist Rücksicht auf den „ritterlichen“
Charakter der Tat und urteilte sehr milde. Im Nationalsozialismus war
die Herausforderung zum Zweikampf in Armeekreisen durch eine Verfügung
des Oberkommandos des Heeres vom 22. Februar 1937 legalisiert. Bis heute
ist das Duell fester Bestandteil des studentischen Brauchtums bei „schlagenden“
Studentenverbindungen und steht außerhalb der staatlichen Rechtsordnung.
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DER
PROZESS |
Die
Wege der Rechtfindung, wie sie in diesem Raum beschrieben werden, empfinden
wir heute als grausam, ungerecht und ineffizient.
Bei uns wurde die Folter noch vor wenigen Jahrhunderten angewandt und
war auch im letzten Jahrhundert,
vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus gängige Praxis.
Auch sollte man nicht vergessen, dass ähnliche Verfahren in vielen
Ländern heute noch verwendet werden,
also nicht nur ein Phänomen längst vergangener Zeiten ist.
Öffentlichkeit im Gerichtswesen
Gerichtsversammlungen
waren im Mittelalter öffentlich. Das Erscheinen von Personen, die
nicht unmittelbar am Verfahren beteiligt waren, war nicht nur möglich,
sondern sogar ausdrücklich erwünscht, da dies ein wirksamer
Schutz vor Willkür und vor der Untergrabung der Autorität von
Gerichtsurteilen war.
In der Regel war der Besuch von Gerichtsverhandlungen für einen bestimmten
Personenkreis, abhängig von der Art des Gerichtes, verpflichtend.
Zu einer Dorfgerichtsversammlung mussten alle Hausbesitzer erscheinen,
die bei dieser Gelegenheit auch die Interessen ihrer Familien, Dienstboten
und Inwohner vertraten. Ähnlich verhielt es sich bei Stadt- und Marktgerichten;
auch hier war die Verpflichtung zur aktiven Teilnahme an Gerichtstagen
mit dem Hausbesitz verknüpft. Von dieser Verpflichtung waren lediglich
Adelige befreit, auch wenn sie Hausbesitzer waren, da die Adeligen eines
Gebiets immer eine eigene „Gerichtsgemeinde“ bildeten, die
über dem Recht der nichtadeligen Untertanen stand. Darüber hinaus
gab es noch zahlreiche Sondergerichte, die mit Besitz oder Beruf zusammen
hingen, etwa „Berggerichte“ der Weingartenbesitzer, Forstgerichte
der Waldanteilsbesitzer oder Zunftgerichte der in einer Zunft organisierten
Handwerksmeister. Der Grundsatz war, dass Rechtsangelegenheiten möglichst
von den Angehörigen der sozialen oder beruflichen Gruppe, die vom
jeweiligen Rechtsfall betroffen war, behandelt werden sollten und nicht
von Fremden, die von der zu behandelnden Materie kaum etwas verstanden.
Bei der Vielzahl von in sich abgeschlossenen Rechtskreisen, die nebeneinander
existierten und im Einzelfall nicht immer klar voneinander zu trennen
waren, darf es nicht verwundern, dass es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten
und Unklarheiten der Zuständigkeit kam. Delinquenten wurde es daher
relativ leicht gemacht, „unterzutauchen“ und so ihrer Bestrafung
zu entgehen. Die im Volk bis heute vielfach verwurzelte Fremdenfeindlichkeit
hat ihren Ursprung darin, dass man in früheren Jahrhunderten nie
wissen konnte, ob ein Fremder mit reinem Gewissen aus seiner Heimat abgereist
war oder ein flüchtiger Straftäter war. |
Niedergericht
– Hochgericht
Trotz all der Vielgestaltigkeit
des Gerichtswesens im Mittelalter galt immer der Grundsatz, dass besonders
schwere Verstöße gegen die allgemeine Rechtsordnung, die mit
Todes- oder Verstümmelungsstrafen zu ahnden waren, eigenen Gerichten
vorbehalten waren. Die „Hochgerichtsbarkeit“ wurde so zur
Kriminaljurisdiktion, während die „Niedergerichte“ in
der Regel nur Geldstrafen oder Schandstrafen wie das Stehen am Pranger
verhängen durften.
Das Vorrecht, schwere Verbrechen durch Beschädigungen der Gesundheit
oder des Lebens des Delinquenten zu sühnen, war ursprünglich
ein königliches Vorrecht. Niemandem sonst stand es zu, das von Gott
geschenkte Leben mutwillig zu gefährden. Natürlich übte
der König die Urteilsfindung und Vollstreckung nicht persönlich
aus, da dies mit den zahlreichen anderen Aufgaben eines Herrschers nicht
vereinbar war; dafür wurden königliche Hofgerichte eingeführt,
die zwar in den einzelnen Ländern unterschiedliche Bezeichnungen
trugen, aber immer den gleichen Ursprung hatten. Bei den mittelalterlichen
Verkehrsverhältnissen war es allerdings kaum möglich, jedes
schwere Verbrechen vor dem königlichen Gericht zu verhandeln und
alle Beteiligten zum persönlichen Erscheinen zu zwingen, weshalb
aus praktischen Erwägungen das Recht der Blutgerichtsbarkeit durch
königliche Verleihung auf Grundherren und Landesfürsten überging.
Mit der Zeit kam es so zur Ausbildung fester Hochgerichtssprengel, während
sich das königliche Hofgericht auf die Aufgaben eines reinen Adelsgerichts
beschränkte.
Die mittelalterliche Unterscheidung zwischen Niedergericht und Hochgericht
wirkt bis in die heutige staatliche Organisation nach: Um ein Gericht
mit einer Streitigkeit zu befassen, muss eine bestimmte Schwere des Gesetzesverstoßes
vorliegen, während Vergehen, bei denen niemand zu Schaden kommt (etwa
Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung), von Verwaltungsbehörden
(Bezirkshauptmannschaften und Bundespolizeidirektionen) mittels Verwaltungsstrafen
geahndet werden. |
Orte
und Zeiten der Verhandlungen
Da die Hausbesitzer
eines Dorfes oder einer Stadt, die Weingarten- und Waldanteilsbesitzer,
die Handwerksmeister einer Zunft usw. ohnehin zu regelmäßigen
Treffen zusammen traten, wurden die anhängigen Niedergerichtssachen
bei diesen Gelegenheiten gleich mitbehandelt. Eigene Termine, bei denen
es nur um Gerichtssachen ging, waren die Ausnahme. Bei den als „Banntaidingen“
bezeichneten Zusammenkünften der Hausbesitzer eines Dorfes wurden
beispielsweise sowohl die Rechtsstreitigkeiten, die in der Zuständigkeit
des Dorfgerichts lagen, als auch Angelegenheit der allgemeinen Dorfverwaltung
behandelt, wie die Pflege von Wegen und Brücken, die Festlegung der
Aussaat- und Erntetermine usw.
Im Gegensatz dazu fanden die Verhandlungen vor dem Hochgericht, das nach
der Delegierung an die Grundherren oder Landesfürsten zumeist die
Bezeichnung „Landgericht“ trug, nach Bedarf statt. Für
die Vollstreckung der Urteile des Landgerichts wurde von sämtlichen
Haushalten, die im Gebiet des Landgerichtes lebten, jedes Mal eine eigene
Abgabe eingehoben, weshalb zur Bestrafung durch die Obrigkeit noch der
soziale Druck der Umgebung auf die Familie des Delinquenten kam, der man
diese zusätzliche Belastung zu „verdanken“ hatte. Durch
diese Sonderzahlung waren alle Menschen von einem Verbrechen, auch wenn
ihnen weder Täter noch Opfer bekannt waren, persönlich betroffen,
sodass die Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein
kollektives Interesse der Gesellschaft bildete.
Generell konnten Gerichtsverhandlungen an jedem denkbaren Ort stattfinden,
da es keine eigenen Gerichtsgebäude gab. Je nach der Anzahl der zuhörenden
Teilnehmer konnten Gerichtstage unter freiem Himmel, in einem Wirtshaus,
im städtischen Bereich auch im Rathaussaal oder am Sitz der Handwerkszunft
durchgeführt werden. Angelegenheiten des Hochgerichts wurden üblicherweise
in der grundherrlichen Burg oder in einem herrschaftlichen Verwaltungsgebäude
behandelt und von einem höheren Herrschaftsbeamten geleitet. |
Handelnde
Personen
Oberste Instanz im
mittelalterlichen Gerichtswesen war der Gerichtsherr, der zumeist mit
dem jeweiligen Grundherrn identisch war. Der Gerichtsherr übte seine
Gerichtsgewalt allerdings nicht persönlich aus, sondern delegierte
diese Aufgabe an einen von ihm eingesetzten Richter. Dieser konnte, je
nach der Art des Gerichts, ein bezahlter Bediensteter oder ein von der
Gerichtsgemeinde aus einem vom Gerichtsherrn erstellten Wahlvorschlag
gewähltes Gemeindemitglied sein. Im Bereich des Dorfgerichts wurde
üblicherweise vom Grundherrn jährlich ein Dreiervorschlag erstellt,
aus dem die Gemeinde den Gemeinderichter wählte. Im Burgenland hielt
sich die Bezeichnung „Richter“ für den Bürgermeister
übrigens noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, da der Gemeinderichter
auch allgemeine Verwaltungsaufgaben und die Repräsentation des Dorfes
nach außen ausübte.
Als Unterstützung des Richters bei den Verwaltungsaufgaben und bei
der Urteilsfindung wurde eine bestimmte Zahl von Schöffen bestellt,
die hierzulande die Bezeichnung „Geschworene“ trugen. Dabei
galt der Grundsatz, dass die Schöffen je zur Hälfte vom Gerichtsherrn
bestellt bzw. von der Gemeinde in freier Wahl ermittelt wurden.
Vor Verhandlungsbeginn wurde durch theoretische Fragen und Erörterung
früherer, ähnlich gelagerter Rechtsfälle das geltende Gewohnheitsrecht
festgestellt, ehe der Kläger das Wort erhielt. Das Gerichtsverfahren
erfolgte in Form eines Streitgesprächs zwischen Kläger und Beklagtem,
wobei dem Richter die Rolle des Moderators zufiel. Richter und Geschworene
hielten sich in einem eigens gekennzeichneten Bereich auf, der besonderen
Rechtsschutz genoss und mit Holzbarrieren, Seilen oder Ähnlichem
gekennzeichnet war. Kläger, Beklagter und Zeugen traten jeweils nach
Aufforderung an diese „Gerichtsschranken“ vor. Nach Ende des
Beweisverfahrens erarbeiteten der Richter und die Geschworenen einen Urteilsentwurf,
der der Gemeinde präsentiert wurde und von dieser entweder wohlwollend
aufgenommen oder durch Missfallenskundgebungen abgelehnt wurde. Dadurch
wurde sichergestellt, dass das Urteil dem allgemeinen Rechtsempfinden
im Volk entsprach und nicht von persönlichen Interessen beeinflusst
sein konnte. |
Gottesurteil
und Folter
Im mittelalterlichen
Gerichtswesen war es nicht erlaubt, einen nicht geständigen Delinquenten
nur aufgrund der Beweislage der Tat zu überführen und abzuurteilen.
Zu allen Zeiten galt aber schon die Faustregel, dass, wenn man sich nicht
erwischen lässt, einem niemand eine Tat nachweisen könne, wenn
man diese nur fest genug abstreitet. Im Mittelalter gab es keine Lügendetektoren
und ähnlich ausgeklügelte Methoden der Wahrheitsfindung; statt
dessen gab es aber ein Instrumentarium, bei dessen bloßer Androhung
so mancher Delinquent wankelmütig wurde und die ihm zur Last gelegte
Tat gestand.
Das Gottesurteil war ein Überbleibsel aus der Zeit, als eine effektive
Gerichtsbarkeit nicht möglich war und wegen der schwierigen Verkehrsverhältnisse,
dem Fehlen einer staatlichen Gewalt und der geringen Autorität der
Gerichte ein aufwändiges Beweisverfahren nicht durchgeführt
werden konnten. Im Gegensatz zum Faustrecht und zu dem nur widerwillig
in Kauf genommenen Fehdewesen bildete das Gottesurteil als Mittel zur
Wahrheitsfindung aber noch bis zur Frühneuzeit einen Bestandteil
des allgemein gültigen Rechts. Das Gottesurteil war eine Probe, bei
der Leben oder Gesundheit des Verdächtigen bewusst gefährdet
wurden. Überstand dieser die Probe ohne Beeinträchtigung seiner
Gesundheit, so war die allgemeine Ansicht, dass ihm Gott beim Nachweis
seiner Unschuld geholfen hätte. Kam er aber zu Schaden, so war dies
ein Zeichen des allwissenden Gottes, dass der Verdächtige die Tat
sehr wohl begangen hatte, auch wenn er noch so sehr leugnete. Als Beispiel
für ein Gottesurteil sei angeführt, wie man mit Fischdieben
in der Neusiedler See-Region umging: War die Beweislage unklar und lag
kein Geständnis vor, wurde der Verdächtige zusammen mit einem
abgebrochenen Messer in einen Korb gesteckt und in den See geworfen. Konnte
er sich befreien, galt dies als das von Gott erwartete Zeichen von dessen
Unschuld.
Eine Weiterentwicklung des Gottesurteils war die Folter, die aber erst
in der Neuzeit entwickelt wurde. Während die Brutalität dieses
Verfahrens uns moderne Menschen abstößt, war die Folter in
der Frühneuzeit als Mittel zur Wahrheitsfindung und zum Erwirken
eines Geständnisses von störrischen Delinquenten allgemein anerkannt.
Die Folter konnte auch durchaus den gegenteiligen Effekt haben: Wurde
trotz des „peinlichen Verhörs“ kein Geständnis erwirkt,
galt dies als Unschuldsbeweis. |
Weltliches
Gericht – Geistliches Gericht |
Angesichts der allgemeinen
Zersplitterung und Unübersichtlichkeit des Gerichtswesens beanspruchte
die Kirche sehr weit gehende Rechte in der Gerichtsbarkeit. Nach den Prinzipien,
die während des Investiturstreits ausformuliert wurden, sollten Rechtsfälle,
in die Geistliche verwickelt waren, ausschließlich vor geistlichen
Gerichten verhandelt werden. Außerdem beanspruchte die Kirche das
Recht, Laien zu bestrafen, die sich an Klerikern oder an Kirchengut vergangen
hatten bzw. die Gebote der Kirche missachteten, unabhängig von deren
sozialem oder beruflichem Stand und der sich daraus ergebenden Gerichtszuständigkeit.
Diese hohen Ansprüche konnten von der Kirche allerdings niemals vollständig
umgesetzt werden. Der Grund für die Beschneidung der kirchengerichtlichen
Kompetenzen lag darin, dass der Kirche aufgrund der von ihr vertretenen
Prinzipien die Ausübung der Blutgerichtsbarkeit nicht möglich
war. Da das mittelalterliche Justizwesen jedoch ohne diese drakonische Bestrafungsart
nicht auskam, entwickelte sich als „Hilfskonstruktion“ für
diese Fälle die Vogtei. Ein hoher Adeliger übernahm als Vogt die
Rolle des Gerichtsherrn in den kirchlichen Rechtsangelegenheiten, hauptsächlich
dort, wo die Kirche aufgrund ihrer Besitzverhältnisse die Rolle als
Grundherr einnahm. In der Praxis kam es dadurch allerdings immer wieder
zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den kirchlichen Institutionen und ihren
Vögten, die im Gegensatz zur Kirche nicht nur Urteile aussprechen,
sondern auch gewaltsam vollstrecken konnten und die von ihnen vertretenen
kirchlichen Einrichtungen aus dem Gerichtswesen weitgehend zurückdrängten.
Die Strafen der von den Bischöfen (bzw. in deren Vertretung von Archidiakonen
und Offizialen), und zweitinstanzlich vom Heiligen Stuhl in Rom ausgeübten
geistlichen Gerichtsbarkeit konnten nur die Rolle des Beklagten in der Gemeinschaft
der Kirche regeln, was im Extremfall bis zum Ausschluss vom Sakramentempfang
oder zur Exkommunikation reichen konnte. Aufgrund der mittelalterlichen
Sozialstruktur war dies allerdings mit einem Ausschluss aus der menschlichen
Gesellschaft gleichbedeutend. |
URTEIL |
Vielleicht
ist es auch ein Resultat der Erfahrungen der letzten Jahrhunderte,
dass heute die Todesstrafe in Europa keine Anwendung mehr findet.
Obwohl
von Zeit zu Zeit die Forderung nach der Todesstrafe aufkommt, empfinden
Europäer das heute als normal.
Allerdings:
Im Jahr 2001 wurden mindestens 3.048 Personen in 31 Ländern hingerichtet.
Mindestens 5.265 Personen in 68 Ländern wurden zum Tode verurteilt.
Diese Zahlen geben nur den Wissensstand von amnesty international wieder;
die tatsächlichen Zahlen sind mit Sicherheit höher.
Schandstrafen - Ehrenstrafen
Den verschiedenen
Arten des Niedergerichts war es nicht erlaubt, Strafen an Leib und Leben
des Delinquenten zu vollziehen. Statt dessen entwickelte sich ein reiches
Spektrum an möglichen Strafen. In der Regel wurden Urteile am Besitz
des Beschuldigten vollstreckt, seit dem Aufkommen der Geldwirtschaft im
Spätmittelalter haben wir hierbei in erster Linie an Geldstrafen
zu denken. Es gab aber auch die Möglichkeit, den Verurteilten öffentlich
zur Schau zu stellen, ihn zum allgemeinen Gespött zu machen und ihn
dadurch in seiner Ehre zu verletzen, in der Hoffnung, dass diese öffentliche
Demütigung ihn von weiteren Straftaten abhalten möge.
Die Art der Strafe war von der Art und der Schwere des Vergehens abhängig.
Wo durch Fahrlässigkeit unbeabsichtigt ein Schaden entstanden war,
war es nicht notwendig, den Beschuldigten vor aller Augen zu demütigen.
Ehrenstrafen wurden dem biblischen Motto „Auge um Auge, Zahn um
Zahn“ entsprechend hauptsächlich für Vergehen verhängt,
bei denen die Ehre einer anderen Person beeinträchtigt wurde, etwa
Beleidigung oder die Verbreitung falscher Gerüchte. Hinter der öffentlichen
Zurschaustellung stand eine erzieherische Absicht: Wer sich solcherart
zum Gespött seiner Umwelt machen musste, hielt hinkünftig sein
loses Mundwerk im Zaum, damit ihm diese Schande in der Zukunft erspart
blieb.
Das wichtigste Instrument zur Vollziehung der Ehrenstrafen war der Pranger,
der am wichtigsten Platz der Gemeinde stand, wo ein entsprechendes Verkehrsaufkommen
eine große Breitenwirkung bei der öffentlichen Zurschaustellung
des Delinquenten garantierte. Mit der Zeit wurde der Pranger zu einem
Statussymbol für Städte und Marktgemeinden, wo diese Rechtssymbole
oft als künstlerisch wertvolle Steinsäulen ausgeführt waren.
Es gab aber auch in den Dörfern entsprechende Plätze, die dieselbe
Funktion innehatten. Zur Steigerung der Schande des Delinquenten konnten
ihm am Pranger auch diverse Schandinstrumente angehängt werden, etwa
die „Fiedel“ oder Halsgeige, Lastersteine, Schandkrone oder
Schandmaske usw. |
Todesstrafe
- Grausamkeit
Da es nach dem christlichen
Glauben lediglich Gott zustand, Leben zu geben und zu nehmen, gab es im
Früh- und Hochmittelalter keine Todesstrafe. Schwere Verbrechen wurden
durch die Bezahlung des „Wergelds“ oder durch die Auslieferung
des Täters an die Sippe des Geschädigten gesühnt. Weil
diese Praxis aber das im Spätmittelalter rapide um sich greifende
Fehdewesen und die Blutrache nicht zurückdrängen konnte, kam
es zu einer allmählichen Brutalisierung des allgemeinen Rechtsempfindens.
Rache und Abschreckung traten an die Stelle der Aussöhnung der beteiligten
Parteien.
Die schlimmste Strafe der Hochgerichte war die Hinrichtung, die ihrerseits
noch je nach Art und Schwere des Verbrechens abgestuft war. Während
die Hinrichtung mit dem Richtschwert noch als vergleichsweise ehrenvoll
galt, war das Erhängen am Galgen mit Schimpf und Schande verbunden
und in der Regel gewöhnlichen Dieben vorbehalten. Als schwerste Strafe
galt der Tod durch Verbrennen am Scheiterhaufen, was hauptsächlich
bei Zauberei und Sexualverbrechen angewandt wurde. Hier spielte der Glaube
an die reinigende Kraft des Feuers eine wichtige Rolle; von diesen Verurteilten
sollte der Nachwelt nichts erhalten bleiben, nicht einmal eine Leiche,
die man irgendwo verscharren musste. Bemerkenswert und für uns moderne
Menschen abstoßend ist übrigens, dass Homosexualität,
selbst wenn sie lediglich im privaten Umfeld ausgelebt wurde, als schwerer
Verstoß gegen die göttliche Ordnung angesehen wurde, der mit
dem Tod am Scheiterhaufen geahndet wurde. Daneben gab es noch andere Formen
der Hinrichtung wie das Rädern, das Ertränken und (vor allem
in militärischen Kreisen) das Erschießen.
Diese Formen der Todesstrafe konnten noch verschärft werden, etwa
dadurch, dass der Verurteilte gefesselt und an einen Karren gebunden an
die Richtstatt geschleift wurde. Die Strafen konnten aber auch „gemildert“
werden, etwa wenn ein zum Tod durch Verbrennen Verurteilter mit dem Schwert
hingerichtet wurde, ehe der Leichnam verbrannt wurde. Das konnte dem Hingerichteten
zwar ziemlich egal sein, war aber bei dem Ehrenkodex der damaligen Gesellschaft
für die Hinterbliebenen von großer Bedeutung. Die Hochgerichte
sprachen aber nicht nur Todesstrafen aus, sie konnten auch Verstümmelungsstrafen
wie Blenden der Augen, Abhacken einer Hand oder Abschneiden eines Ohrs
verhängen. |
Warum
waren die Strafen derart grausam?
Im Zentrum des mittelalterlichen
Weltbildes stand Gott.
Für mittelalterliche Menschen ist Gott nicht der „Geist der
Liebe“, sondern der richtende und strafende Gott des Alten Testaments.
Sie verstanden Sünden im privaten und im geschäftlichen Leben
als Verstöße gegen die göttliche Ordnung. Verbrechen entfachten
den Zorn Gottes und verlangten nach Buße in Form von schlimmsten
Todesstrafen. Andernfalls würde Gott die Menschheit durch Landplagen
wie Pest, Cholera und Hungersnöte insgesamt büßen lassen.
Überliefert ist auch, dass Verurteilte den Scharfrichter baten, sie
möglichst übel zu quälen, damit ihre Seelen wirksam von
Sünden gereinigt werde.
Freiheitsstrafen im modernen Sinn waren im Mittelalter undenkbar. Es kam
dem mittelalterlichen Menschen überhaupt nicht in den Sinn, einen
Verurteilten wegzusperrenund ihn jahrelang mit Nahrung und Kleidung zu
versorgen. Für Verurteilte war die mittelalterliche Gesellschaft
zu keinen Aufwendungen bereit. Gefängnisaufenthalte beschränkten
sich daher auf die Zeit der gerichtlichen Untersuchung, für die dem
Gerichtsherrn von der Familie des Inhaftierten eine Aufwandsentschädigung
bezahlt werden musste, selbst wenn die Untersuchung zu keiner Verurteilung
führte.
Ein entscheidender Unterschied zum heutigen Rechtsvollzug bestand darin,
dass jemand, der gerichtlich verurteilt worden war, zeit seines Lebens
(bzw. bei Hingerichteten deren Familie) gebrandmarkt blieb. Eine Verjährung
der Schuld und die Chance auf einen vorurteilsfreien Neuanfang in der
Gesellschaft gab es nicht. Wer einmal am Pranger stehen musste, blieb
bis zu seinem Lebensende das Gespött seiner Gemeinde; wer vom Scharfrichter
an der Hand oder am Ohr verstümmelt wurde, war für alle Zeiten
als verurteilter Verbrecher zu erkennen. Durch diese Praxis wurde eine
Schicht von gesellschaftlichen Außenseitern heran gezogen, die aller
Chancen auf einen gesellschaftlichen Aufstieg beraubt war. Wer zeit seines
Lebens als Verbrecher gebrandmarkt war, hatte wenig Hemmungen, weitere
Verbrechen zu begehen, da er ohnehin nichts zu verlieren hatte. Für
die allgemeine Rechtssicherheit war dies nicht zuträglich. |
Öffentlichkeit
bei den Urteilen
Das gesamte Gerichtswesen
war im Mittelalter eine Sache des öffentlichen Interesses. Da jeder
Mensch in irgendeiner Weise Mitglied einer oder mehrerer Gerichtsgemeinden
war, war auch seine Mitwirkung an den Gerichtsverhandlungen nicht nur
möglich, sondern sogar ausdrücklich erwünscht. Je mehr
Mitglieder einer Gerichtsgemeinde anwesend waren, desto eher war gewährleistet,
dass das Urteil nicht von persönlichen Interessen geleitet war, sondern
dem geltenden Gewohnheitsrecht entsprach. Dass das Gewohnheitsrecht bei
gesellschaftlichen Außenseitern wesentlich strenger angewendet wurde
als bei anderen Individuen, fiel den mittelalterlichen Menschen bei deren
engen gesellschaftlichen und moralischen Normen nicht weiter auf.
Dem Grundsatz der Öffentlichkeit des Gerichtswesens entsprechend,
wurden auch die Urteile so öffentlich wie möglich vollzogen.
Musste jemand angekettet am Pranger stehen, wurde darauf geachtet, dass
möglichst viele Menschen den Delinquenten in dieser misslichen Lage
zu Gesicht bekamen, um den Schimpf und den Spott möglichst weit zu
verbreiten. Der Vollzug von Urteilen des Hochgerichts gestaltete sich
sogar zu richtigen Volksfesten. Hinrichtungen fanden nicht in einem dezenten
Kämmerchen statt, um dem Verurteilten einen möglichst würdevollen
Tod zu vergönnen, sondern waren viel besuchte Volksbelustigungen.
Dies war ein Teil der abschreckenden Wirkung des damaligen Gerichtswesens;
vor aller Augen und zum allgemeinen Gaudium durch die Hand des Scharfrichters
zu sterben, war eine Situation, die wohl niemand leichtfertig in Kauf
nahm.
Die Instrumente des Urteilsvollzugs dienten gleichzeitig als Instrumente
der Macht des jeweiligen Gerichtsherrn. Richtstätten wurden an Stellen
im offenen Land errichtet, wo jeder Vorbeifahrende den Galgen sehen konnte,
Pranger standen an Rathäusern oder an wichtigen Plätzen. Dadurch
wurden die Menschen ständig an das Vorhandensein der Gerichte erinnert
und damit zur Führung eines den Gesetzen und allgemeinen Moralvorstellungen
der Zeit entsprechenden Lebens ermahnt. |
Der
Scharfrichter Bis
zum 13. Jh. gibt es keinen eigenen des Scharfrichters.
Todesstrafen waren bis in diese Zeit eher die Ausnahmen und waren zudem
durch Geldzahlungen abwendbar. War dies nicht möglich, wurde der
Verurteilte dem Kläger ausgeliefert, der ihn selbst tötete oder
durch seine Knechte töten ließ.
Manchmal musste auch der jüngste Schöffe das Urteil vollstrecken,
gelegentlich musste die Gemeinde zusammenwirken, indem sie gemeinsam am
Strick zog. (Wir ziehen alle am selben Strick.)
1276 erwähnt erstmals die Augsburger Stadtchronik den „Henker“.
Einen ständigen Scharfrichter konnten sich allerdings nur reiche
Städte leisten, die anderen mussten sich einen ausborgen.
Ohne berufsmäßigen Scharfrichter kam man aber bald nicht mehr
aus, denn im Zuge der Herausbildung des Strafrechts wurden die Strafen
immer genauer ausgestaltet, zu einem fantasievollen Ritual verfeinert
und als „erregendes Spektakel“ (Barockzeit) inszeniert.
Der Beruf des Henkers war gekennzeichnet durch Tabus und Aberglaube.
Der Scharfrichter wurde gemieden, musste meist außerhalb der Stadtmauern
leben, durfte die Badestuben nicht benutzen und hatte bei der Messe einen
eigenen gekennzeichneten Platz. Gegenstände, die er berührt
hatte wurden aus dem Verkehr gezogen. Die Berührungsangst führte
auch oft besondere Bekleidungsvorschriften.
Die meisten Tabus sind aber ambivalent und so kam es durchaus auch vor,
dass der Scharfrichter hohen gesellschaftlichen Stellenwert hatte.
Den Gegenständen des Strafvollzugs sprach der Aberglaube magische
und sogar heilende Kräfte zu.
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